Die Retraction unserer Homöopathie-ADHS-Meta-Analyse erzeugt Aufsehen

Ein Hinweis auf einen Artikel auf FAZ.net und meine Fragen an den Autor, Hinnerk Feldwisch-Drentrup

Am Montag, 6.11.23, erschien ein Artikel auf FAZ.net, der die Retraction, also den Rückzug, der Publikation unserer Homöopathie-ADHS-Meta-Analyse thematisiert. Anlässlich dieses Vorfalls erwähnt er auch die anderen beiden Retractions (der „Vaccines“-Studie [1], die in „Science, Public Health Policy and the Law“ nach einem dreifachen, verblindeten Review wieder publiziert wurde [2] und der Kindermaskenstudie [3], die nach einem ausführlichen Review in der Langform in „Environmental Research“ neu publiziert wurde [4]).  

Der Artikel ist ein sehr gutes Beispiel, wie man anscheinend journalistisch korrekt arbeiten kann, indem man nämlich keinerlei falsche Aussagen trifft bzw. seine Behauptungen gut belegt, jedoch dennoch lügt. Denn die Lüge hat zwei Seiten: Jemand kann lügen, indem er etwas Falsches behauptet. Und jemand kann lügen, indem er ihm bekannte, wahre und wichtige Sachverhalte verschweigt. In diesem Fall ist die zweite Form der Lüge endemisch. Sie führt sehr zwanglos zum vermutlich intendierten Effekt, nämlich einer Rufschädigung, bei all jenen, die mich nicht kennen und die keine Zeit und keine Lust haben, sich näher mit der Sache zu beschäftigen. Das wird vermutlich in der Folge dazu führen, dass Wikipedia-Autoren im Artikelbeitrag zu meiner Person noch mehr Grund finden, kritische Bemerkungen anzubringen, womit sich die kritische Zitierkatze wieder in den eigenen Schwanz beißt. 

Was Feldwisch-Drentrup verschweigt, weiß er nämlich von mir bzw. hätte es leicht herausfinden können, indem er tiefer recherchiert hätte. Ich hatte ihm nämlich eine ausführliche E-Mail mit Details zu dieser Retraction und der Meta-Analyse geschickt, die in dem Artikel nicht erwähnt werden.

Ich habe ihm daraufhin folgenden Brief geschickt und habe bis Montag, 13.11.23, den Stichtag, auf eine Antwort gewartet. Nachdem ich keine erhalten habe, publiziere ich den Brief. Sollte ich eine Antwort später erhalten, werde ich sie selbstverständlich auch publizieren.

Hier mein Brief:

Sehr geehrter Herr Feldwisch-Drentrup,

ich habe mit Interesse Ihren Artikel auf FAZ.net gelesen. Erlauben Sie mir als Betroffenem eine kritische Rückmeldung.

Sie insinuieren, dass unsere Arbeit zu Homöopathie bei ADHS gerechtfertigt zurückgezogen wurde, weil drei schwerwiegende Fehler enthalten gewesen seien.

Der erste, das falsche Vorzeichen, war in der Tat ein Fehler, für den ich die Verantwortung übernehme und übernommen habe, sowohl in meiner Mail an Sie als auch in meinem Blog, in dem ich mich öffentlich dazu positioniert habe. Was Sie verschweigen und was ich Ihnen in meiner E-Mail geschrieben habe: Dieser Fehler ist belanglos, was die Effektgrößenschätzung angeht, aber hat einen Einfluss auf die Signifikanzschätzung.

Sie schreiben, als wären die beiden anderen Gründe, die das Journal angibt, zweifelsfrei und gesichert. Sie sind es nicht. Auch das habe ich Ihnen geschrieben. Ein Kollege von mir hat unabhängig von mir die Effektgröße der inkriminierten Studie von Oberai nachgerechnet und meine Rechnung bestätigt. Das, was die Autoren publiziert haben und was die Retraction-Begründung angibt – und sagt, wir hätten dies übernehmen sollen, ist falsch. Daher ist es auch falsch, dies als eine valide Begründung für eine Retraction anzugeben. Sie verschweigen das. Das Gleiche gilt für Grund Nummer drei, die angeblich nicht stimmige RoB-Bewertung.

Dann bringen Sie in gesinnungsjournalistischer Manier noch die beiden anderen Retraction-Fälle daher. Diese haben mit diesem Fall gar nichts zu tun und gehören hier gar nicht hin. Aber sie sind natürlich ein potentes journalistisches Mittel, um zu insinuieren: „Der Walach ist ein Spinner und versteht nichts von Wissenschaft“. Das ist der Subtext ihrer weiteren Ausführungen.

Sie verschweigen hier, dass die Re-Publikation des Vaccines-Artikels durch einen dreifachen, blinden Peer-Review gegangen ist, obwohl Sie das von mir wussten. Sie insinuieren, dass es damit nichts auf sich haben kann, weil ja in dem gleichen Journal Impfgegner publizieren würden. Was Sie auch verschweigen ist die Tatsache, dass unsere Analyse richtig war. Sie tun so, als wäre eine Retraction ein faktengestützter Prozess, der es in diesem und auch im anderen Fall nicht war. Sie ignorieren auch, dass die Daten, die wir verwendet haben, richtig waren.

Daher erlauben Sie mir zwei Fragen. Ihre Antwort ist für mein weiteres Vorgehen von Bedeutung:

  1. Haben Sie einen (in Zahlen 1) belastbaren Hinweis darauf, dass unsere Berechnung der „Number Needed to Vaccinate“ für Mortality aus der zurückgezogenen Vaccines-Studie falsch ist, und zwar aus wissenschaftlichen Studien, die peer-reviewt sind? Wir haben ein Jahr später anhand der Langzeit-Daten der Pfizer-Zulassungsstudie berechnet, dass unsere erste Analyse numerisch richtig, genauer gesagt sogar zu freundlich war und haben das publiziert [5]. Das sind belastbare Daten, von Pfizer selber erzeugt. Diese bestätigen unsere Analyse und räumen die hauptsächlichen Kritikpunkte aus, dass wir nur Pharmakovigilanz bzw. naturalistische Daten verwendet hätten. Denn diese Daten sind prospektiv-experimentell gewonnen.
  2. Kennen Sie eine einzige systematische, gut angelegte Beobachtungsstudie, die Sie mir nennen können, die das getan hat, was wir gefordert haben? Nämlich sorgfältig an einer prospektiv erhobenen Kohorte erheben, wie sicher und effektiv die Impfstoffe sind?

Sie sagen, unser zweiter zurückgezogener Artikel, die Kindermaskenstudie, sei in veränderter Form neu publiziert worden. Auch das ist eine Insinuation. Sie legt nämlich nahe, dass wir damit einen Fehler behoben hätten, der zur Retraction geführt hat. Es war kein Fehler zu beheben. Die Retraction war nicht gerechtfertigt. Und wir haben keine veränderte Version publiziert, sondern die ausführliche Langversion, weil die Kurzversion, die zurückgezogen worden ist, Anlass für Missverständnisse gegeben hat. Denn die Hauptkritiker haben das Kleingedruckte nicht gelesen, in diesem Falle den methodologischen Anhang und die richtigen (!) Spezifikationen der Geräte, die wir verwendet haben.

Auch hier machen Sie das Gleiche: Sie insinuieren, indem Sie wichtige Sachverhalte verschweigen.

Darf ich Sie zum Abschluss noch vier Dinge fragen? Ich wäre dankbar für eine Antwort. Auch ich habe Ihnen vor einigen Tagen eine, wie ich finde, ausführliche Antwort auf Ihre Frage geschickt:

  1. Durch die Kritik an der Homöopathie als Behandlungsmöglichkeit für ADHS insinuieren Sie ja, dass es was Besseres gäbe. In dem Fall vermutlich Ritalin. Kennen Sie eine Studie oder eine solide Meta-Analyse (Stichwort: Cochrane-Standard, den Sie ja ins Spiel gebracht haben), die belegt, dass Ritalin länger als 3 Monate wirksam ist? Die längste Studie in unserem Portfolio war ein Jahr. Kennen Sie eine solche für Ritalin und wissen Sie, wie hoch die Effektstärke ist?
  2. Wir haben vor einem Jahr einen ausführlichen Meta-Review publiziert [6]. Darin haben wir ein Drittel aller zufällig ausgewählten Cochrane-Reviews daraufhin untersucht, ob die geprüfte Intervention belastbare Daten enthält. Wir haben eindeutig positive Hinweise für 5,6 % aller geprüften Interventionen gefunden, und weil es eine Zufallsauswahl von 1/3 aller Cochrane Reviews war, kann man das auf die gesamte Medizin übertragen. Diesen Befund haben die Medien und auch die FAZ bisher nicht aufgegriffen. Er würde nahelegen, dass man nicht nur mit der Homöopathie und der Komplementärmedizin kritisch umgeht, sondern mit der gesamten Medizin. Sehen Sie Ihre Aufgabe als Wissenschaftsjournalist wohl darin, solches Wissen unter die Leserschaft der FAZ zu bringen?
  3. Ich habe in meinem Blogartikel darauf hingewiesen, dass die Arbeitsgruppe von Frau Priesemann ihre Analyse bezüglich der Nützlichkeit des deutschen Lockdowns auf falsche Daten gestützt hat und das auch zugegeben hat. Dennoch ist die Analyse nicht zurückgezogen worden. Finden Sie das in Ordnung? Wenn ja, warum? Wenn nein: Würden Sie mit der gleichen Emphase dieses Fehlverhalten anprangern?
  4. Zum Schluss: Sie, bzw. Ihre Geschäftspartnerin, schreiben auf Ihrer Webseite, Journalisten hätten einen Kompass und Ihrer beider Kompass würde in die gleiche Richtung zeigen. Können Sie mir sagen, wohin genau dieser Kompass wohl zeigt?

Ich bin gespannt auf Ihre Antwort,

Beste Grüße,

Harald Walach

Quellen und Literatur

  1. Walach H, Klement RJ, Aukema W. Retracted: The Safety of COVID-19 Vaccinations—We Should Rethink the Policy. Vaccines. 2021;9(7):693. doi: https://doi.org/10.3390/vaccines9070693.
  2. Walach H, Klement RJ, Aukema W. The Safety of COVID-19 Vaccinations — Should We Rethink the Policy? Science, Public Health Policy, and the Law. 2021;3:87-99. https://www.publichealthpolicyjournal.com/general-5.
  3. Walach H, Weikl R, Prentice J, Diemer A, Traindl H, Kappes A, et al. Retracted: Experimental assessment of carbon dioxide content in inhaled air with or without face masks in healthy children: A randomized clinical trial. JAMA Pediatrics. 2021. doi: https://doi.org/10.1001/jamapediatrics.2021.2659.
  4. Walach H, Traindl H, Prentice J, Weikl R, Diemer A, Kappes A, et al. Carbon dioxide rises beyond acceptable safety levels in children under nose and mouth covering: Results of an experimental measurement study in healthy children. Environmental Research. 2022;212:113564. doi: https://doi.org/10.1016/j.envres.2022.113564.
  5. Walach H, Klement RJ, Aukema W. The risk-benefit ratio of Covid-19 vaccines: Publication policy by retraction does nothing to improve it. Clinical and Translational Discovery. 2022;2(1):e35. doi: https://doi.org/10.1002/ctd2.35.
  6. Howick J, Koletsi D, Ioannidis JPA, Madigan C, Pandis N, Loef M, et al. Most healthcare interventions tested in Cochrane Reviews not effective according to high quality evidence: a systematic review and meta-analysis. Journal of Clinical Epidemiology. 2022;148:160-9. doi: https://doi.org/10.1016/j.jclinepi.2022.04.017.