Auf der Achterbahn aus der postmodernen Wohlfahrtszwangsgesellschaft in die Freiheit – Eine Buchbesprechung

Michael Esfeld & Cristian Lopez: Restoring Science and the Rule of Law. Cham: Palgrave-macmillan/Springer. Palgrave Studies in Austrian Economics. 216 Seiten; CHF 142,00, eBook 114,00 CHF; ISBN 978-3-031-71185-5

Auf Achterbahnen stürzt man unvermittelt in die Tiefe und glaubt aufzuschlagen, bevor einen eine scharfe Kurve wieder nach oben führt und man in der nächsten Kurve den scharfen Wind spürt, erschreckt nach unten blickt, bis man durch mehrere Kurven, Berge und Täler endlich dort landet, wo man eigentlich schon von Anfang an wusste, dass man ankommen muss. Nur ist man nun um eine Erfahrung reicher. So ähnlich ist die Lektüre dieses Buches. Seine Botschaft lässt sich kurz zusammenfassen, und die Achterbahnfahrt ist letztlich seine argumentative Entfaltung über mehrere Stufen hinweg.

Die Botschaft lautet:

Seit der Aufklärung wurde die Wissenschaft, vor allem die Naturwissenschaft, zu einem Motor der Befreiung. Gleichzeitig hat sie dazu beigetragen, dass die absolutistischen politischen Strukturen durch republikanisch-demokratische abgelöst wurden und damit die Herrschaft des Gesetzes, „the rule of law“, etabliert wurde. Diese ist nicht zu verwechseln mit der politischen Herrschaft eines Staates. Nun hat sich aber eben dieser Erfolg der Naturwissenschaft dahin gewendet, dass zum einen der Staat immer mächtiger wurde und nun nach einem Schlichter, Regulator und Wegweiser verlangt. Dafür muss nun die Wissenschaft herhalten. Zum anderen hat sich die Wissenschaft, vor allem in der öffentlichen Wahrnehmung, so verrannt, dass sie zum Szientismus, zur Wissenschaftsgläubigkeit degeneriert ist. Damit sind beide Anliegen der Aufklärung bedroht, nämlich Befreiung des Menschen von den Zwängen der Natur durch gute Wissenschaft und eine freiheitliche politische Struktur. Denn die politischen Strukturen haben sich zu einem Wohlfahrtsstaat verkrüppelt, der immer mehr Herrschaft ausübt und immer mehr Freiheit beschränkt. Um dies zu rechtfertigen, ruft er eine verbogene Wissenschaft in die Arena der politischen Kämpfe, die für ihn streiten soll. Wissenschaftlicher Szientismus und politischer Dirigismus gehen also Hand in Hand. Denn damit bleibt die Vernunft und die Freiheit in beiden Domänen auf der Strecke. Und wo nicht mehr Vernunft der Maßstab des Forschens und Handelns ist, dort halten Ideologien Einzug. Dann wird eine Pseudowissenschaft zur Rechtfertigung einer politischen Agenda bemüht. Beide stützen einander, und das Ganze endet in der Zwangsbeglückung des modernen Wohlfahrtsstaates. Was also Not tut, ist eine neue, eine eigentliche Aufklärung, die die Engführung der ersten Aufklärung aufbricht, die Verkrüppelung der politischen Strukturen beseitigt, und damit sowohl Wissenschaft als auch Gesellschaft und mit ihr die ökonomischen Kräfte befreit.

Das kann gelingen, indem man die Wissenschaft auf ihre Kernkompetenz beschränkt. Diese ist durch immerwährenden kritischen Diskurs und Kritik der positiven Befunde ausschließlich der objektiven Beschreibung der Wirklichkeit verpflichtet. Sie kann und darf nicht zur Rechtfertigung politischer Narrative herangezogen werden, weil das ihrem Wesen widerspricht. Denn Wissenschaft hat nie eine endgültige Antwort, sondern immer nur vorläufig gültige. Wissenschaft durch Konsens, wie in verschiedenen Themenbereichen immer mehr reklamiert, ist immer ein Selbstwiderspruch. Lässt man Wissenschaft frei von politischer Bevormundung, dann liefert Wissenschaft sehr nützliche Einsichten, deren Verwertung dann in einer freien Gesellschaft von freien Bürgern bestimmt wird, die sich selber ihres Verstandes zu bedienen wissen und in freiem Diskurs- und Güteraustausch stehen. Außerdem gilt es, das Gemeinwesen wieder auf das zu beschränken, wozu es durch die Aufklärung bestimmt wurde: als eine Institution, die durch Rechtssicherung – „the rule of law“ – vor allem Abwehrrechte definiert. Das sind negative Rechte, gegenüber einem übergriffigen Staat und gierigen Nachbarn. Positive Rechte hingegen haben in einer solchen Sicht wenig bis nichts verloren. Positive Rechte sind solche, die sich der Staat herausnimmt, um das Zusammenleben über das Notwendige hinaus zu regeln, z.B. das Recht, Steuern einzufordern, mit denen Umverteilung vorgenommen wird und Staatsaufgaben finanziert werden. In letzter Konsequenz läuft dieses Modell auf eine anarchistische Lösung des Hobbesschen Dilemmas hinaus.

Hobbes hatte bekanntlich in seinem „Leviathan“ von 1651 das Dilemma des modernen Staates formuliert: das Zusammenleben der Menschen muss geregelt sein, sonst ist das Recht des Stärkeren die Konsequenz – eine Seite des Dilemmas. Deswegen muss es eine Ordnungsmacht geben – der Leviathan, oder der moderne Staat, der für Ordnung sorgt. Ist aber diese Macht einmal installiert, dann kann sie Gesetze erlassen und machen, was sie will, wodurch die Menschen unfrei und geknechtet werden – die zweite Seite des Dilemmas. Was auch immer man also tut, es kommt entweder zu Unrecht oder Unfreiheit.

Esfeld und Lopez lösen das Dilemma auf, indem sie sagen: wir brauchen gar keinen Leviathan, keine zentrale Staatsmacht. Wir brauchen eine kleinteilige, demokratische, beziehungs- und diskursabhängige Rechtsstruktur, die dafür sorgt, dass die natürlich gegebenen Freiheitsrechte, die ein jeder hat, nicht die Freiheitsrechte des anderen einschränken und nicht zu einer willkürlichen Herrschaft der Starken führt. Die innere Rechtfertigung für diese Denkstruktur durchzieht das ganze Buch: nämlich der Rückgriff auf die Vernunft und vielleicht ihren nobelsten Garanten der Aufklärung, auf Kant. Kant hatte bekanntlich analysiert, dass in Ethik und Politik der Mensch als Selbstzweck zu sehen ist und nie als Mittel begriffen werden darf. Diesen transzendentalen Standpunkt Kants – der allerdings noch die Unverfügbarkeit des Geistes, der überall vorausgesetzt wird, enthält, das nur am Rande – reklamieren die Autoren für ihr Argument. Daraus lässt sich gewinnen, dass man die Wissenschaft auf die vernünftige Analyse von Beobachtungen und ihre Kritik reduziert. Das ist eine Mischung aus Popperschem Fallibilismus und Feyerabends Methodenanarchie. Und aus diesem transzendentalen Standpunkt lässt sich ableiten, dass keine politische Theorie und keine Ethik Menschen wie auch immer geartet als Mittel zum Zweck definieren kann.

Das geschieht aber in der jüngeren Zeit immer häufiger. Denn durch eine grassierende Krankheit des Geistes, die man als Postmodernismus bezeichnen kann, verlieren sowohl die Wissenschaft, als auch die Philosophie, die Politik und die Gesellschaft den Bezug zur Realität. Nicht mehr die Wirklichkeit, sondern bloße Abbilder, Simulacra, sind es, mit denen wir umgehen. Wenn aber nicht mehr die Wirklichkeit unser Referenzpunkt ist, dann ist unser Handeln in gewisser Weise in die Beliebigkeit gestellt, oder besser: dann können alle möglichen politischen Narrative die Wirklichkeit in ihrer je eigenen Perspektivität fassen, die Wissenschaft und gesellschaftliche Kräfte in den Dienst nehmen, um eben jene Narrative voranzutreiben und zur Wirklichkeit zu machen. Das genau geschieht derzeit sehr häufig. Die Autoren buchstabieren es aus an drei politisch hoch inkorrekten und daher extrem spannenden Beispielen.

Sie zeigen, wie dies im Coronaregime geschah. Wie es im Klimanarrativ, und wie es im Gender- oder Political-Correctness- oder Wokeness-Narrativ geschieht. In jedem dieser Bereiche sind je eigene Narrative am Werk, die mit der Wirklichkeit nur relativ wenig zu tun haben. Stattdessen greifen sie sich einen Teilbereich der Wirklichkeit heraus, ignorieren den Rest, unterstreichen den isoliert genommen Teil sehr fett mit rot und rosa oder grünem Leuchtmarker und machen daraus ein verzerrtes Abbild der Wirklichkeit.

In einem dieser Bereiche, dem Corona-Narrativ, kenne ich mich relativ gut aus, weil ich selber eine Reihe von Originalpublikationen verfasst und die Daten recht eng verfolgt habe. Und ich kann berichten: Esfeld und Lopez haben durchaus recht. Das bestärkt mich in der Annahme, dass die Analyse der anderen beiden Bereiche ebenfalls zutreffend sein dürfte. Nicht dass sie etwa die Tatsache abstreiten würden, dass sich das Klima erwärmt. Aber sie weisen darauf hin, dass es sehr viele Komponenten gibt, die auf diesen Prozess einwirken und dass das Herausgreifen des menschlichen CO2-Ausstoßes eine gewisse Willkürlichkeit hat. Gleichzeitig macht es unsere begrenzte Modellierkapazität nötig, dass wir die Modelle vereinfachen. Nun führt aber genau dieser Tatbestand, ebenso wie schon in der Modellierung von Corona-Verläufen, dazu, dass die Modelle sich von der Wirklichkeit entfernen. Esfeld und Lopez zitieren eine ganze Reihe von Daten und Erkenntnissen, die im Mainstream-Narrativ übersehen werden. Sie relativieren den Einfluss menschlicher Aktivität. Immerhin war das Erdklima zur Zeit des römischen Klima-Optimums zwischen 50 v. Chr. bis ca. 200 A.D. etwa so warm wie heute, wenn nicht sogar wärmer und zur Zeit des ausgehenden Neolithikums um einige Grad wärmer als heute. Diese Erwärmungen können kaum mit menschlichem CO2-Ausstoß erklärt werden. Aber was ist dann mit dem Konsens, der in Organisationen wie dem Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) zum Ausdruck kommt, oder den Verlautbarungen der WHO im Gesundheitsbereich? Auch hier zeigen die Autoren interessante Parallelen auf: Wissenschaftler, die ihre Nase in den Wind hängen und rasch riechen, woher der Wind bläst, springen auf einen Wagen auf, der durch politische Interessen in Bewegung kam, andere folgen; Geld wird zur Verfügung gestellt; dadurch werden Wirklichkeiten durch Forschungsergebnisse erzeugt, deren Richtung schon im Vorhinein bestimmt ist; was nicht in diese Logik passt, wird ausgesondert. So ähnlich war es beim Corona-Regime auch: Regierungen haben sich Hilfe bei Wissenschaftlern gesucht, die ihre Ansicht stützten. Andere kamen nicht zu Wort oder wurden durch das Schweigen der Medien in die Schattenwelt der Irrelevanz verfrachtet. Das erzeugt den Eindruck von Einstimmigkeit und von einem „wissenschaftlichen Konsens“. Aber allein schon dieses Wort ist ein Unding. Wenn es in der Wissenschaft irgendwas als Konstante gibt, dann ist es die kontinuierliche Kritik eines vermeintlichen Konsenses oder das Fortschreiten der Einsicht durch Verstehen bisheriger Fehler. „Science progresses funeral by funeral – Die Wissenschaft schreitet voran, Begräbnis um Begräbnis“ lautet eine bekannte englische Verballhornung einer Planck’schen Einsicht.

Diese drei Beispiele von falschem wissenschaftlichem Konsens und Verzerrung der tatsächlichen belegbaren Fakten im Corona-, Klima- und Wokeness- oder Gender-Regime verwenden die Autoren, um zu illustrieren, wie eine zum Szientismus verbogene Wissenschaft, die sich der Politik andient und von ihr requiriert wird, sowohl die Wissenschaft als auch die Politik schädigt und am Ende unser aller Freiheitsrechte beschränkt.

Was muss daher geschehen? Wissenschaft selber muss befreit werden, ganz im Sinne Poppers und auch Feyerabends, von falschen Vorgaben, Leitplanken und Gängelungen, auch mittlerweile aus ihren eigenen Reihen. Und Politik muss sich auf ihr Kerngeschäft zurückziehen, nämlich die minimale Regelung des Zusammenlebens durch die Garantie negativer Rechte, also Abwehrrechte gegenüber der Einschränkung der eigenen Freiheit und der Übergriffigkeit gegen andere.

Das gelingt, indem man sich ganz auf die libertäre Tradition stützt. Sie wird durch die österreichischen Autoren von Hayek, Mises, Hoppe und Rothbard repräsentiert. Ihre Namen haben, so weit ich das sehe, in der links-liberalen Intellektuellenriege des Feuilletons und der philosophischen Diskussionszirkel keinen guten Ruf. Kein Wunder. Denn ihre Botschaft würde zu einem Verschwinden der Geldströme führen, die diese Gruppen alimentieren. In der libertären Tradition hat der Staat nur eine minimale Funktion. Er müsste sich durch geregelte Selbstabschaffung als erfolgreich bewähren, erst dann hätte er eine Existenzberechtigung, so paradox das klingt.

Wenn man dieses libertär-anarchistische Konzept durchdenkt, bis ans Ende, dann ist es vielleicht sogar eine Achterbahnkurve zu schnell genommen und man fliegt aus dem Fahrzeug, kommt mir vor. Die staatliche Förderung von Forschung – mal sicher der ganzen Gender-, Klima- und Political-Correctness-Forschung – würde stante pede aufhören. Akademiker, die sich nicht selber durch das, was sie tun, erhalten können, weil sich nämlich wer dafür interessiert und dafür Geld hergibt, wären in einem solchen Modell nicht vorgesehen. Große Gemeinschaftsprojekte wie die Interferometer, die es ermöglicht haben, Gravitationswellen zu messen und die uns derzeit im Wochentakt neue Einsichten über den Kosmos bescheren, wären nicht mehr zu finanzieren. Denn wer soll die ca. 30 Millionen US-Dollar aufbringen, die für den Unterhalt nötig sind, wenn nicht der Staat? Oder eben ein reicher Wohltäter.

Auch staatlich finanzierte Bildung, Schulen und Universitäten gäbe es so nicht. Mich erinnert das an die Anfänge der Universität im Paris des 12. Jahrhunderts. Dort ließen sich Gelehrte nieder, öffneten ihr Wohnzimmer, unterrichteten, es kam, wer auch immer Interesse hatte und dafür erhielten die Gelehrten einen Obolus, von dem sie lebten (oder auch nicht; meistens dürften sie noch ein paar klerikale Pfründen gehabt haben).

Ob sich dieses Konzept ins 21. Jahrhundert transportieren ließe? In eine Zeit, in der man mit riesigen Apparaten Physik oder Astrophysik betreibt, die kein privater Sponsor bezahlen kann? Wer weiß, vielleicht müsste man eine radikale Denkergruppe gründen, die komplett privat finanziert wird und dessen Charta besagt, dass keinerlei inhaltlich-ökonomische Interessen damit verbunden sind außer dem reinen Erkenntnisgewinn. Vielleicht müsste sich eine solche Gruppe radikaler Denker überlegen, ob und wie sich solche Konzepte verwirklichen ließen.

Eines ist sicher: Eine solche Gruppe hätte einen mächtigen Feind, nämlich den Klüngel der akademisch-politischen Interessen, die geradezu davon leben, dass unser Gemeinwesen so gebaut ist, wie es ist. Denn es alimentiert Unmengen von Interessensgruppen und erkauft sich auf diese Weise Macht in Form von Zustimmung dadurch, dass es Partikularinteressen bedient.

In diesem Sinne ist dieses Werk eine Art Utopie, so ähnlich wie Thomas Morus‘ „Ou-topia“ (griechisch für „Nicht-Ort“). Sie beschrieb eine Welt des 16. Jahrhunderts, die es nicht gab, um die damalige, harte, schmutzige, verbrecherische Welt etwas menschlicher zu machen. Darin war sie seither in mancher Hinsicht erfolgreich. Dies hier ist eine Utopie für unsere Zeit. Gerade durch ihre Radikalität und ihre Perspektive verdient sie es, sehr ernst genommen zu werden. Denn ihr Ziel ist auf jeden Fall selbst-los im guten Sinne. Ihr Ziel ist die Freiheit.

Ich wünsche dem Buch viele Leser. Das wird nur funktionieren, wenn es auch in einer günstigeren Ausgabe erscheint, und dann nochmals gründlich lektoriert wird. Es ist sehr ärgerlich, dass ein Verlag wie Springer, der für Bücher horrende Preise heischt, so schlampig oder eigentlich gar nicht lektoriert.